«Wäre ein Abkommen mit der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung sinnvoll?»
Andrea Zryd
Nationalrätin
Vor einem Jahr durfte ich hier über meine ersten Erfahrungen als Mitglied des Nationalrats und der Sicherheitskommission (SiK) berichten. Seither hat sich nicht nur die geopolitische Lage rasant ins Ungemütliche entwickelt, sondern auch innerhalb des VBS hat es gerumpelt. VBS-Chefin Viola Amherd ist soeben von Bundesrat Marin Pfister abgelöst worden und der Chef der Armee, Thomas Süssli, quittiert den Dienst auch bald. So viel zum nationalen Geschehen. Richten wir den Blick in die Welt: Gamechanger war hier die Wahl des US-Präsidenten Donald Trump im Kontext mit dem immer noch wütenden, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Fast täglich ändern sich Trumps Pläne – von Verlässlichkeit keine Spur Die neue US-Regierung zieht sich zunehmend aus der gemeinsamen westlichen Sicherheitsarchitektur zurück, was zu einem Wandel der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in Europa führt.
Unser Beitrag zur Sicherheit in Europa
Die Sicherheit der Schweiz hängt heute mehr denn je an der Sicherheit Europas. Es wäre eine Illusion zu meinen, wir könnten die heutigen Gefahren und Risiken im Alleingang bewältigen. Um unsere Sicherheit zu bewahren, müssen wir unseren Beitrag zur Sicherheit in Europa leisten und international zusammenarbeiten. Der Nationalrat hat im März 2025 in einer Erklärung festgehalten, dass ein stabiles, regelbasiertes und souveränes Europa notwendig ist, um Frieden, Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte auf dem Kontinent zu gewährleisten. Ich frage mich, ob es nicht sinnvoll wäre, ein Abkommen mit der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung einzufordern. Eine engere Kooperation mit der EU eröffnet Möglichkeiten für gemeinsame Rüstungsbeschaffungen. So kann auch die Abhängigkeit von Drittstaaten, insbesondere von den USA, reduziert werden – ganz im Sinne einer eigenständigen, europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine solche Kooperation entspricht unserem Neutralitätsrecht, da es primär um gemeinsame Beschaffungen geht, und weil sie die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Schweiz im europäischen Rahmen stärkt.
Ein Blick in die Schweiz
Unser Land hat aktuell Mühe, die Beschaffungen für die nötigen Fähigkeiten, insbesondere für die Verteidigung, zeitgerecht sicherzustellen. Die moderne Kriegsführung verlangt definitiv nicht nach möglichst viel Artillerie, sondern Technologien, die Cyber- und Hybridangriffe abwehren können.
Ende März sind wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen auf dem Waffenplatz Thun über die Armeebotschaft 2025 informiert worden. In diesem Rahmen haben wir eindrücklich aufgezeigt bekommen, wie beispielsweise Minidrohnen und spezielle Radarsysteme wirken. Selbstverständlich müssen wir unseren Luftraum und kritische Infrastrukturen schützen können. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist unabdingbar und dazu benötigen wir fortschrittliche Mikrochips. Die USA haben entschieden, uns diese nicht zu liefern, was für unser Land problematisch ist. Der Forschungsstandort Schweiz ist gefährdet und auch unsere technologische Souveränität. Gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz dürfen wir nicht ins Hintertreffen geraten – sei es in der Forschung, der Industrie oder im sicherheitspolitischen Bereich.
Vor einem Jahr habe ich in Thun Panzer besichtigt, erst kürzlich Minidrohnen und IT- Programme. 2024 wusste ich knapp, was eine Armeebotschaft beinhaltet. Heute kenne ich den Preis eines Marschflugkörpers oder einer ballistischen Rakete. Irgendwie grotesk und auch etwas beängstigend. Wo führt das alles noch hin?
Ich setze mich als Sozialdemokratin mit Stolz für unser demokratisches und friedliches Land ein. Ich tue dies hoffentlich auch mit Weitsicht und Vernunft, denn es ist unsere Pflicht bei milliardenschweren Ausgaben genau hinzuschauen und möglichst gut zu beurteilen, ob das aktuelle Rüstungsprogramm nicht auf einem veralteten Bedrohungsbild von Kriegsführung basiert. Mechanisierte Truppen sind gegenüber spezialisierter Infanterie im Nachteil und verlieren an Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Schweiz geografisch privilegiert und von befreundeten NATO- und EU-Staaten umgeben ist – ein direkter terrestrischer Angriff ist auch laut Bundesrat unwahrscheinlich.
Hybride Gefahren, Cyberangriffe, Desinformation, Terror, Angriffe auf kritische Infrastrukturen oder Not- und Katastrophenlagen sind viel realistischer. Statt Milliarden Franken in schweres Gerät zu investieren, braucht es eine grundlegende Neuausrichtung. Die Armee soll dort stark sein, wo es die Bedrohungslage verlangt – für Schutz und Rettung im Inland, zur Unterstützung der zivilen Behörden, zur Abwehr von Cyberangriffen, zur Bekämpfung von Desinformationskampagnen, zum Schutz kritischer Infrastrukturen, bei Bedrohungen aus dem Luftraum und als Beitrag zur internationalen Stabilität. Dafür benötigen wir unsere Armee. Entsprechend ausgerüstet und ausgebildet. ■ (Bild: Angehörige der Armee bei der Arbeit im Cyber- und elektromagnetischen Raum.) (Bild: VBS, Clemens Laub)