Keine Sicherheit ohne eigene Rüstungsindustrie
Um sich verteidigen zu können, braucht die Schweiz eine einsatzfähige Armee. Die Rüstungsindustrie gewährleistet das reibungslose Funktionieren ihrer Waffensysteme. Aufgrund der sehr restriktiven Exportvorschriften für Rüstungsgüter und des Verbots der Wiederausfuhr steht dieser Industriezweig in der Schweiz jedoch kurz vor dem Aussterben. Ohne Exporte kann er wirtschaftlich nicht überleben. Ohne eine eigene Rüstungsindustrie sind jedoch die Sicherheit und Souveränität der Schweiz gefährdet. Die Revision des Kriegsmaterialgesetzes (KMG), die die Belieferung der Nachbarländer wieder ermöglichen soll, muss rasch zum Abschluss gebracht werden.
Etienne Bernard
Zentralsekretär swissPersona
Übersetzung Thomas Sutter
Sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis
Eine leistungsfähige, technologische und industrielle Basis ist in vielen Staaten eine Komponente der Rüstungspolitik. Für die Schweiz ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung. Als neutraler Staat gehört sie keiner Verteidigungsallianz an und hat deshalb keinen Anspruch auf militärische Unterstützung durch andere Staaten. Zu diesem Zweck verfügt sie über eine bedeutende Sichersheitsrelevante Technologie und industriebasis (STIB).
Die STIB soll dazu beitragen, in definierten Bereichen die rüstungspolitischen Abhängigkeiten der Schweiz vom Ausland zu reduzieren. Sie soll in der Lage sein, die für die Armee und weitere Institutionen staatlicher Sicherheit des Bundes zentralen Technologiekompetenzen und Industriefähigkeiten mit den erforderlichen Kapazitäten in der Schweiz sicherzustellen.
Industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten
Ausgehend von der Bewertung der Sicherheitsrelevanz aller Armeesysteme wurden die kritischen Einsatzsysteme der Armee definiert. Die STIB soll wesentliche Leistungen im Rahmen von Komponentenentwicklung, Integration, Betrieb und Instandhaltung zur Sicherstellung der Durchhaltefähigkeit dieser Systeme erbringen können.
Sicherheitsrelevante Wirtschaftszweige
Die sicherheitsrelevanten Wirtschaftszweige werden auf der Grundlage der allgemeinen Basis der allgemeinen Systematik der Wirtschaftszweige(NOGA) und machen etwa 20% aus. Dazu gehören: Informatik und Informationsdienstleistungen, Telekommunikation, Elektronik und Optik, Maschinenbau, Reparatur und Installation von Maschinen und Ausrüstunge, Metalle und Metallerzeugnisse, Gummi und Kunststoffwaren, chemische Erzeugnisse, Fahrzeugbau Automobilteile, Luftfahrt (Raumftransport), technische, physikalische und chemische Untersuchung, Forschung und Entwicklung.
Unsere Rüstungsindustrie steht vor dem Abgrund
Als Folge der Friedensdividende nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Verteidigungsbudgets in Europa drastisch gekürzt. In der Schweiz wurde die Armee «während 30 Jahre kaputtgespart», ebenso wie ihre Rüstungsindustrie. Vorzeigebetriebe wie Oerlikon Contraves, SIG Sauer, Mowag und Unternehmen der Eidgenossenschaft (Pulver & Treibladungen Wimmis, RUAG International, RUAG Ammotec) wurden an ausländische Konkurrenten verkauft.
Der Krieg in der Ukraine vervollständigt das Bild durch die negative Entwicklung der Kriegsmaterialexporte in den letzten zwei Jahren. Nach einem Rückgang um 27% im Jahr 2023 sind sie 2024 um weitere 5% gesunken. Die Exporte des letzten Jahres betreffen überwiegend Aufträge, die vor der Verschärfung der Exportregeln für Kriegsmaterial im Oktober 2021 erteilt worden waren. Seitdem haben die Schweiz und ihre Rüstungsindustrie ihren Status als zuverlässiger Partner verloren. Deutschland, Dänemark und die Niederlande haben Schweizer Unternehmen ausdrücklich von ihrer Liste potenzieller Lieferanten gestrichen. In der Vergangenheit hatten diese Länder teilweise bis zu 40% der Schweizer Rüstungsexporte absorbiert.
Dieser Vertrauensverlust konfrontiert unsere Rüstungsunternehmen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der Verlagerung eines Teils der Produktion ins Ausland: Safran Vectronix, Hersteller von Entfernungsmessgeräten und Nachtsichtgeräten, musste Kurzarbeit einführen. Swiss P Defence, Hersteller von Kleinkalibermunition, hat kürzlich 22 Mitarbeitende entlassen. B&T, Hersteller von Kleinkaliberwaffen, war gezwungen, eine Tochtergesellschaft in Deutschland zu gründen, um die deutsche Armee weiterhin beliefern zu können. GDELS-Mowag, Hersteller von gepanzerten Radfahrzeugen, muss mehr Wertschöpfung im Land des Kunden schaffen, was Arbeitsplätze in der Schweiz kostet. Carbomill musste technologisches Know-how an ausländische Konkurrenten abgeben. Seine Produkte werden nun in diesen Ländern hergestellt und geliefert.
«Swiss free» oder keine in der Schweiz hergestellten Waffen ist die im Ausland verbreitete Haltung. Die Kundenstaaten wollen nicht davon abhängig sein, was übermorgen in Bern beschlossen wird. Ebenso wenig wollen sie jedes Mal beim Bundesrat um die Genehmigung bitten müssen, Waffensysteme in ein anderes NATO-Land zu verlegen. Die Industrie braucht Lieferanten, die 30 Jahre und länger liefern können. Die Schweiz hat jedoch einen totalen Vertrauensverlust erlitten: Sie wird als profitgieriger und rechtlich unsicherer Staat wahrgenommen.
Die dritte Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes und das Reexportverbot, die vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine in Kraft getreten sind, haben die Möglichkeit, Rüstungsgüter zu exportieren, praktisch zunichte gemacht. Dies gefährdet die Existenz der Rüstungsindustrie und damit auch die Sicherheit der Schweiz.
Revision des Kriegsmaterialgesetzes (KMG)
Im Juni dieses Jahres hat der Ständerat beschlossen, den Export von Rüstungsgütern in Partnerstaaten (hauptsächlich NATO-Staaten) zu erleichtern, die dieselben internationalen Verpflichtungen wie die Schweiz im Bereich der Rüstungskontrolle eingegangen sind. Künftig sind Exporte in diese Länder auch dann zulässig, wenn sie von einem internen oder externen Konflikt betroffen sind. Der Bundesrat muss jedoch die Kompetenz erhalten, die Ausfuhrbewilligung zu verweigern, wenn die aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz gewahrt werden müssen. Ergänzend dazu hat der Ständerat beschlossen, dass diese Staaten künftig das von ihnen erworbene Kriegsmaterial ohne Zustimmung der Schweiz an andere Länder weitergeben dürfen. Mit diesen Beschlüssen ist der Weg frei für die Aufhebung der «NATO-Sperre» und für die «Interchangeability» für die europäischen Partnerstaaten.
Trotz dieser tragfähigen Lösung hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats (SiK-N), die nun für das Dossier zuständig ist, die Debatten auf die Wintersession verschoben. Das Parlament diskutiert diese Revision bereits seit über zwei Jahren. Angesichts der Sicherheitslage in Europa und der Tatsache, dass die nationale Verteidigungsindustrie mit dem Rücken zur Wand steht, ist dies völlig unverantwortlich. Die Schweiz sendet damit nicht nur ein katastrophales Signal aus, sondern gefährdet auch ihre Sicherheit und Souveränität. swissPersona fordert die SiK-N auf, dieses Dossier dringend zu behandeln. ■ (Foto: VBS, Philipp Schmidli)