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Interview mit Aldo C. Schellenberg

Transparenter und nachvollziehbarer Beschaffungsprozess

Seit Anfang Jahr ist Korpskommandant Aldo C. Schellenberg Chef Kommando Operationen und Stellvertreter des Chefs der Schweizer Armee. In einem Interview gibt er Einblick in seine Aufgaben und seine grössten Herausforderungen.

 

Interview Beat Wenzinger
Redaktor swissPersona

 

swissPersona: Haben Sie privat oder beruflich ein Motto?

Aldo C. Schellenberg: Mit der Übernahme der neuen beruflichen Funktion habe ich mich intensiv mit dem Wahlspruch des Kommandos Operationen «Unus pro omnibus – omnes pro uno!» (einer für alle – alle für einen!) auseinandergesetzt. Ich identifiziere mich persönlich damit.

Als Chef Kommando Operationen sind Sie verantwortlich für die lagegerechte Bereitschaft und für das Planen und Führen von Einsätzen und Operationen der Armee. Welches war bisher in diesem Zusammenhang Ihre grösste Herausforderung?

Gott sei Dank erlaubt die gegenwärtige Sicherheitslage, dass die Armee ihre schwierigste Aufgabe, nämlich die Mobilmachung und den Schutz von Land und Leuten vor militärischer Aggression von aussen, nur trainieren und nicht tatsächlich unter Beweis stellen muss. Im Alltag steht für die Armee deshalb die (subsidiäre) Unterstützung der zivilen Behörden im Rahmen von Sicherheitseinsätzen wie beispielsweise dem Jahrestreffen des WEF in Davos oder im Rahmen von ausserordentlichen Situationen wie dem prekären Wassermangel in den verschiedenen Alpgebieten in der Schweiz. Aber auch die Unterstützung der Polizei oder des Grenzwachtkorps mit Such- und Transportdiensten sowie der Luftpolizeidienst gehören zum Alltag. Die grösste Herausforderung sind dabei die unvorhersehbaren Ereignisse, welche keine Rücksicht darauf nehmen, ob gerade die richtigen Truppen mit den notwendigen Fähigkeiten und der benötigten Ausrüstung zur Verfügung stehen, sich also im WK befinden. Glücklicherweise haben wir bisher jedoch auf die Mobilisierung speziell dafür vorgesehener militärischer Formationen verzichten können.

Kommen wir kurz auf die Weiterentwicklung der Armee (WEA) zu sprechen. Ist Sie auf Kurs? Welches war Ihre schönste Erfahrung? Wo gibt es noch Handlungsbedarf?

Die Umsetzung der WEA, welche am 1. Januar 2018 gestartet wurde und bis Ende 2022 dauert, ist auf einem guten Weg. Die bisher erreichten Meilensteine stimmen mich zuversichtlich für die weitere Arbeit, welche noch vor uns liegt.

Die Armee hat unbeeindruckt von den durchaus erheblichen organisatorischen Veränderungen vom ersten Tag an sämtliche Aufträge zur vollen Zufriedenheit der Auftraggeber erfüllt. Es ist ein beeindruckendes Erlebnis zu sehen, mit welcher Professionalität und Ernsthaftigkeit unsere Soldaten ihren Auftrag zur Sicherheit völkerrechtlich geschützter Personen anlässlich des WEF auch bei minus 20 Grad Celsius gewissenhaft rund um die Uhr wahrnehmen. Für mich ein Beweis, dass Miliz nicht das Gegenteil von Professionalität ist, sondern die Voraussetzung dafür. Besonders erfreulich ist zudem, dass die Auswertung der zahlreichen Mobilmachungsübungen zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg zur Erfüllung des erwarteten Leistungsprofils sind und das Mobilmachungskonzept stimmt. Ich kann deshalb bereits heute sagen, dass die Armee in der Lage ist, innerhalb von maximal 96 Stunden bis zu 8’000 Angehörige der Armee (AdA) massgeschneidert auf das Ereignis aufzubieten und einzusetzen.

Grosse Fortschritte haben wir auch im Bereich der Kaderausbildung gemacht. Mit dem neuen Ausbildungskonzept verfügen die jungen Milizkader über spürbar mehr Führungserfahrung für ihre Aufgaben und können ihre grosse Verantwortung in der Ausbildung und im Einsatz besser wahrnehmen. Die neu ausgebildeten Führungskräfte bringen ihr Know-how nun sukzessive in die Wiederholungskurse ein und entfalten dort ihre Wirkung.

Aber natürlich gibt es noch viel zu tun bis Ende 2022. So ist die Mobilmachung weiter intensiv zu trainieren und zu perfektionieren, damit die Armee in der Lage ist, innerhalb von maximal zehn Tagen bis zu 35’000 AdA zur Unterstützung der zivilen Behörden aufzubieten. Das ist zwar eine grosse Herausforderung, gleichzeitig aber auch eine der wichtigsten Errungenschaften der WEA.

Zudem muss bis Ende 2022 die Zeit genutzt werden, die noch unausgeglichenen Personalbestände in den Bataillonen, insbesondere mit den notwendigen Spezialisten, aufzufüllen. Hier macht uns die zu grosse Anzahl Personen Sorge, welche nach Absolvierung der Grundausbildung in den Zivildienst wechselt. Ein Thema, welches zurzeit auch die politischen Instanzen beschäftigt.

Letztlich darf nicht vergessen werden, dass die Milizarmee insbesondere in den Grundausbildungsdiensten (Rekrutenschule, Kaderschulen) darauf angewiesen ist, von ausreichend und qualifizierten Berufsmilitär betreut zu werden. Finden wir in Zukunft nicht genügend Berufsmilitärnachwuchs, kann das Dienstleistungsmodell der Armee gefährdet werden.

Einige grosse Rüstungsgeschäfte stehen an. Glauben Sie, dass das Projekt Air2030 – neue bodengestützte Luftverteidigung (BODLUV) und neue Kampfjets (NKF) – mit Kosten von rund acht Milliarden Franken beim Volk eine Chance hat?

Ja, davon bin ich überzeugt, denn von der NKF- und BODLUV-Beschaffung im Rahmen des Projekts Air2030 hängt die Sicherheit jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers sowie der Schweiz gesamthaft ab. Sie ist deshalb von grösster Bedeutung für die Bevölkerung: Ohne Erneuerung der Mittel zum Schutz des Luftraums bis 2030 stehen wir Ende dieses Jahrzehnts ohne Schutz vor Einwirkungen aus der Luft da und können nicht einmal mehr die Benutzung unseres Luftraums kontrollieren.

Die Kosten von acht Milliarden Franken sind sehr viel Geld. Sie sollen aus dem ordentlichen Budget der Armee über einen Zeitraum von zehn Jahren finanziert werden. Dieser Punkt wird leider in der bisherigen Diskussion immer wieder ausser Acht gelassen.

Betrachtet man die weltweite Entwicklung, so erkennt man, dass die Welt in den letzten Jahren zunehmend unsicherer und unberechenbarer geworden ist. Die Welt ist nicht so friedlich, wie wir uns alle das wünschen. Niemand kann voraussehen, wie die Sicherheitslage in 10, 20, 30 Jahren sein wird. Tatsache ist, dass viele Länder ihre Streitkräfte modernisieren und die Verteidigungsausgaben erhöhen. Die Schweiz kann sich dem nicht entziehen. Als Land, das sich der bewaffneten Neutralität verpflichtet hat, muss die Schweiz in der Lage sein, sich gegen alle Arten denkbarer Bedrohungen selbständig zu schützen.

In der Presse haben sich politische Parteien bereits kritisch geäussert. Wie beurteilen Sie diese Situation?

So wie ich die politische Diskussion verstehe, geht es im Moment weniger um inhaltliche Fragen, als um das politische Vorgehen rund um das Projekt. Als Soldat möchte ich dazu keine Stellung nehmen. Aus militärischer Sicht ist aber klar, dass der Evaluations- und Beschaffungsprozess von BODLUV und NKF nicht getrennt erfolgen darf, da sonst die gegenseitigen Synergien und Abhängigkeiten nicht genutzt und berücksichtigt werden können. Ziel ist ein integrierter Schutz des Luftraums mit dem wirksamsten Mix von Kampfflugzeugen und Raketenabwehr.

Das Gripen-Projekt ist vor einigen Jahren gescheitert. Was ändern Sie im Beschaffungsprozess der neuen Kampfjets?

Beim Gripen gab es einige Aspekte, die nicht optimal liefen und schlussendlich zum Scheitern der Abstimmung beitrugen. Diese haben wir analysiert und haben Lehren daraus gezogen. Der Bericht einer VBS-internen Expertengruppe, der Ende Mail 2017 veröffentlicht wurde, wird von allen Seiten als solide Grundlage anerkannt. Es geht diesmal um den Totalersatz der Jet-Flotte, nicht um den Teil-Ersatz eines einzelnen Flugzeugtyps. Was wir beschaffen, muss in der gleichen Version auch im Herstellerland im Einsatz sein. Dadurch vermeiden wir allenfalls kostspielige Alleingänge. Wir machen klare Vorgaben zur technischen Reife, deshalb wird es keine «Papierflieger» geben. Anstelle eines Einzelprojekts schlagen wir ein ganzes Programm Air2030 vor. Wir wollen den Beschaffungsprozess so transparent und nachvollziehbar wie möglich kommunizieren.

Was hätte die Ablehnung des Projektes für Konsequenzen für unsere Armee?

Scheitert das Projekt Air2030, verfügt die Armee ab zirka 2030 weder über Kampfflugzeuge noch über wirksame BODLUV-Systeme. Es existiert dann kein Schutz mehr für unsere Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen vor Einwirkungen aus der Luft. Ohne Schutz des Luftraums können auch die Bodentruppen ihre Aufgaben nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg wahrnehmen. Die Schweiz ist dann schutzlos.

Werden bei Informationskampagnen die Wirtschaft und bundesnahe Firmen wie die RUAG aktiv beigezogen, damit die Bevölkerung auch über Kompensationsgeschäfte und Wirtschaftsbeiträge aus erster Hand informiert wird?

Die Politik und die Wirtschaft informieren grundsätzlich unabhängig voneinander. Wir freuen uns aber, dass die Wirtschaft die Tragweite dieses Geschäftes erkannt hat und zu diesem Thema aktiv informiert. Swissmem hat sich erst kürzlich zur Wichtigkeit von Kompensationsgeschäften und Wirtschaftsbeiträgen geäussert. Von Kompensationsgeschäften profitiert schlussendlich der ganze Schweizer Werkplatz.

Sie haben viele Ansprechspartner: Politiker, Regierung, Parlament, Mitarbeitende, Medien, Bevölkerung. Was wünschen Sie sich am Meisten im gegenseitigen Umgang?

Am meisten wünsche ich mir gegenseitigen Respekt und eine transparente, faktentreue Kommunikation. Sind diese Punkte gegeben, dann können die vorhandenen Synergien optimal und zum Vorteil aller beteiligten Ansprechpartner ausgeschöpft werden. Jeder einzelne dieser Ansprechpartner ist wichtig und kann zur Sicherheit unseres Landes beitragen.

Ist Ihr Arbeitsalltag mehr «Krampf und Kampf» oder erfüllt er Sie mit Zufriedenheit, weil Sie die «Erneuerung» der Armee aktiv mitgestalten können?

Es ist ein grosses Privileg, die Umsetzung der WEA aktiv mitgestalten zu können. Aber auch eine grosse Herausforderung und Verantwortung. Die bisherigen Ergebnisse lassen mich mit Zuversicht auf künftige Herausforderungen blicken. Aber letztlich geht es nicht darum, wie ich mich dabei fühle, sondern um die Sicherheit unseres Landes und unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, und dafür setze ich mich mit ganzer Kraft ein. ■   Bild VBS

 

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