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Interview mit Andreas Berger, CEO der «neuen» RUAG MRO Holding AG

Vielfalt und Abwechslung sind das Salz in der Suppe des Lebens

Seit dem Entscheid des Bundesrates, den staatseigenen Technologie- und Rüstungskonzern RUAG zu entflechten, sind fast zwei Jahre vergangen. In einem sehr sportlichen Zeitrahmen wurden zwei Unternehmen geschaffen, die seit dem 1. Januar 2020 vollständig unabhängig voneinander operieren.

 

Interview Franz Gobeli
Zentralvorstandsmitglied swissPersona

 

Der eine Teil, die RUAG International Holding AG, umfasst sämtliche zivilen und international tätigen Geschäftsteile (RUAG Aerostructures, RUAG Space und MRO International), soll sich zu einem Aerospace-Unternehmen weiterentwickeln und mittelfristig privatisiert werden. Der andere Teil, die RUAG MRO Holding AG, ist aus den ehemaligen RUAG-Divisionen Defence und Aviation entstanden. Ihr Hauptauftrag ist es, die Ausrüstung der Schweizer Armee sicherzustellen, sie kann daneben aber mit einem Anteil von bis 20 Prozent und unter Auflagen weiterhin Drittgeschäfte betreiben.

Die beiden Unternehmen werden zwar vorläufig noch unter dem gleichen Namen operieren. Aber die RUAG MRO Holding AG verfügt seit dem 25. Juni über einen neuen Markenauftritt und über ein neues Logo, was die Unterscheidung der beiden Unternehmen etwas erleichtert, bis die RUAG International Holding AG voraussichtlich im Lauf des Jahre 2021 ihren neuen Namen und ihren neuen Auftritt lanciert.

Andreas Berger hat bereits die Division Defence geleitet und ist seit dem 1. Januar CEO der RUAG MRO Holding AG. Er ist damit seit rund 200 Tagen Chef von gegen 3000 Mitarbeitenden an 15 Standorten in der Schweiz und hat die einmalige Gelegenheit, ein neues Unternehmen mit einer neuen Kultur zu formen.

Franz Gobeli: Herr Berger, wer sind Sie? Wie würden Sie sich beschreiben?
Andreas Berger: Ich bin ursprünglich Thuner und dadurch von jeher eng mit dem Kanton Bern verbunden. Ich habe aber auch lange Abschnitte meines Lebens – sowohl beruflich als auch privat – in vielen verschiedenen Teilen der Schweiz und auch im Ausland verbracht. Geographisch bin ich also «polyvalent». Ich bin 60 Jahre alt und bereits zweifacher stolzer Grossvater. Aber eigentlich sollte ich sagen, dass ich 60 Jahre jung bin, denn ich fühle mich so – immer noch jung.

Charakteristisch und prägend für mein ganzes Leben ist, dass ich die Vielfalt im Leben ganz allgemein spannend finde, aber auch die Vielfalt und Abwechslung im Beruf und bei meiner Aufgabe schätze. Das gilt auch für meine Beziehungen; sie sind ebenso vielfältig und erstrecken sich bis in die verschiedensten Ecken der Welt und zu Menschen mit den verschiedensten Hintergründen. Da liegt es auch nahe, dass ich eher nicht zu jenen Typen Menschen gehöre, die sich bis in die tiefsten Details eines Themas hineinarbeiten. Ich bin viel mehr ein so genannter Generalist und schätze eben auch hier die grosse Vielfalt der Themen, mit denen ich mich auseinandersetzen kann. Und weil sich die Liebe zur Vielfalt und zur Abwechslung durch mein ganzes Leben zieht, gilt das auch im Sport: die Vielfalt und die Abwechslung machen den Spass an der Bewegung für mich aus.

Was ich ganz früh in meiner beruflichen Laufbahn gemerkt habe, war die Freude am Umgang mit Menschen und an der Zusammenarbeit in einem Team. Sie dauert bis heute an und ich schätze mich glücklich, dass ich das bis heute jeden Tag tun darf.

Haben Sie ein Motto?
Es gibt verschiedene Wahlsprüche oder Leitsprüche, die mir gefallen und von denen ich denke, dass sie zu mir und meinem Charakter passen. Aber der, von dem ich denke, dass er mich und meine Art am besten beschreibt, ist wohl «Geht nicht, gibts nicht». Das mag wenig überraschend sein und vielleicht sogar etwas «abgegriffen» klingen, aber es entspricht hundertprozentig meiner Überzeugung, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Es mag manchmal etwas länger dauern, bis man sie findet und es kann sein, dass es mehr als einen Anlauf braucht, um sie zu finden. Aber es gibt sie, davon bin ich fest überzeugt.

Hilft Ihnen dieses Motto auch in Ihrem Beruf?
Selbstverständlich, denn es gibt jeden Tag neue Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Es gibt solche, die innert kürzester Zeit erledigt sind und abgehakt werden können. Aber es gibt auch Probleme, die auf den ersten – und manchmal auch auf den zweiten – Blick unlösbar erscheinen. Aber meine Haltung ermöglicht es mir, auch solche Probleme ruhig anzugehen, nicht zu erschrecken und der Versuchung, gleich den Kopf in den Sand zu stecken oder die Waffen zu strecken, nicht zu erliegen. Diese Ruhe und das Vertrauen, dass mein Motto stimmt, machen es möglich, erstens ein sich stellendes Problem ruhig zu analysieren und zweitens – und das ist ganz wichtig – das eine oder andere Mal eine pragmatische oder sogar eine komplett unkonventionelle Lösung für etwas zu finden. Und oft ist es so, dass sich aus Gesprächen und Diskussionen ganz überraschend und «out of the box» ein Weg auftut, auf dem es weitergehen kann.

Was gefällt Ihnen an Ihrer täglichen Arbeit?
Ich bin jetzt seit knapp zehn Jahren bei RUAG. Und was mich von Anfang an begeistert hat und es bis zum heutigen Tag immer wieder tut, ist diese unerhört grosse Vielfalt an Systemen und Leistungen, die Vielfalt an unterschiedlichsten Kompetenzen, die ich angetroffen habe, und nicht zuletzt die grosse Anzahl engagierter Mitarbeitender. Jedes Mal, wenn ich über ein RUAG-Gelände gehe oder in Werkstätten oder Büros bin, fällt mir auf, mit wie viel Leidenschaft und auch Stolz unsere Mitarbeitenden am Werk sind. Das fasziniert mich bis heute und ich habe während der ganze zehn Jahre keinen Moment bereut, zu RUAG gekommen zu sein. Und wenn ich unsere heutige Situation aus der Sicht der Geschäftsleitung beurteile und mit teilweise anderen Firmen vergleiche, so haben wir enorm viel Gestaltungsfreiheit, um die laufenden Entwicklungen und Veränderungen in unserem Konzernumfeld auffangen zu können und uns anzupassen und weiterzuentwickeln. Ganz speziell spannend und erstaunlich finde ich es, dass man dieses «Bundesbetriebs-Image», das leicht angestaubte, das die RUAG heute in der Aussenwahrnehmung immer noch hat, überhaupt nicht spürt, wenn man mittendrin ist. Im Unternehmen spüre ich viel mehr eine Aufbruchstimmung und ganz viel Flexibilität, die Selbstverständlichkeit, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen und den absoluten Willen, immer das Beste für den Kunden zu erreichen.

Was bezeichnen Sie als Ihren grössten bisherigen Erfolg?
Eigentlich gibt es nicht einen einzelnen grössten Erfolg. Für mich ist es jedes Mal der grösste Erfolg, wenn meine Mitarbeitenden in irgendeinem Bereich einen Durchbruch schaffen. Immer dann, wenn es zu Beginn so aussah, dass etwas gar nicht geht oder dass etwas sehr lange dauern würde oder enorm schwierig zu erreichen ist, ging irgendwo ein Türchen auf, hat sich die Lösung für ein Problem gefunden, haben sich neue Möglichkeiten aufgetan, manchmal sogar neue Geschäftsfelder eröffnet. Das durfte ich in meiner bisherigen Laufbahn mehrmals erleben und solche Durchbrüche beeindrucken mich immer sehr und machen mir enorm viel Spass.

Das jüngste Beispiel für einen solchen Erfolg ist sicher der IT-Cutover im Rahmen der Entflechtung von RUAG, der noch gar nicht so lange her ist. Dieser Teil der Entflechtung – die Trennung aller IT-Bereiche von der ehemaligen RUAG und deren Überführung in die VBS-Umgebung – musste unter enormem Zeitdruck und mit einer hohen Erwartungshaltung erfolgen. Was unsere Leute da geschafft haben, ist wirklich ausserordentlich und für mich ein gutes Beispiel für einen «grössten» Erfolg. Darauf und auf meine IT-Leute bin ich sehr stolz!

Was haben Sie in diesen ersten sechs Monaten als CEO der RUAG MRO Holding AG erlebt?
Ich habe ausserordentliche Motivation erlebt und ich habe Aufbruchstimmung zur Gestaltung dieser «neuen» RUAG erlebt, einer RUAG mit neuem Fokus und einer klaren Ausrichtung aufs Kerngeschäft mit der Schweizer Armee. Und ich habe einen gewissen Stolz erlebt; einen Stolz und das Bewusstsein, mit der eigenen Tätigkeit und der eigenen Leistung einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit in unserem Land zu leisten.

Wie viele Stunden arbeiten Sie durchschnittlich pro Tag?
Das ist eine gute Frage; ich merke deutlich, dass ich seit dem Start der Entflechtung 2018 eine sehr intensive Zeit erlebe. Nicht nur ich, sondern viele andere auch haben dieses Projekt parallel zum Tagesgeschäft umgesetzt. Neuausrichtung, Neuaufstellung und was sonst noch alles dazu gehört haben naturgemäss zu Mehrbelastungen geführt. Wenn ich mal auf rund 60 Wochenstunden herunterkomme, dann ist das schon eher ungewöhnlich. Meistens ist es deutlich mehr. Mittlerweile geht es darum, die Neuausrichtung und die Neugestaltung umzusetzen und zu leben und auch das ist immer noch intensiv. Aber ich rechne damit, dass wir alle innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre wieder zu einem «normalen» Mass an Belastung zurückkehren können. Aber das ist ja eigentlich bei jedem Neuanfang so, und das kennt jeder und jede, die mit einem neuen Geschäft starten: am Anfang braucht es immer einen Sondereffort, damit der Zug ins Rollen kommt.

Wie stellen Sie Ihre persönliche «Work-Life-Balance» sicher?
Ein Ausgleich zur täglichen teilweise sehr intensiven Arbeit ist unbedingt nötig. Wenn man langfristig Energie haben will, kreativ bleiben möchte und auch die Lebensfreude nicht auf der Strecke bleiben soll, ist ein Ausgleich – in welcher Form auch immer – unbedingt nötig. Das zum Grundsätzlichen und zur Theorie.

Andererseits bin ich hier auch realistisch: Im heutigen Arbeitsumfeld, mit zunehmender Digitalisierung, massiv erweiterten Möglichkeiten, auch ausserhalb der Büromauern arbeiten zu können und erreichbar zu sein, ist es für jeden Arbeitgeber und für jeden Arbeitnehmer eine Herausforderung, diesen Ausgleich auch wirklich zu schaffen.

Finden Sie Ihre persönliche Balance, Ihren Ausgleich?
Ich gebe zu, dass das zeitweilen schwierig ist. Aber ich muss auch hier diszipliniert sein und den Ausgleich aktiv suchen. Der Neuanfang von RUAG ist kein Sprint, sondern ein Marathon, den ich durchhalten will. Deshalb schaffe ich meinen Ausgleich, auch wenn es manchmal nur kurze Momente mit der Familie oder Bewegung an der frischen Luft sind.

Wie beurteilen Sie die innere Sicherheit in der Schweiz?
Spannende Frage! Ich bin überzeugt, dass wir das Privileg haben, in einem der sichersten Länder überhaupt leben zu dürfen, ja, manchmal kommt mir die Schweiz wie eine Insel vor. Ich bin aber ebenso davon überzeugt, dass alles, was im Rest der Welt passiert, nicht einfach spurlos an uns vorübergeht, sondern dass wir uns mit der Zeit den Gegebenheiten unserer Nachbarländer annähern werden. Ich glaube nicht, dass wir uns dem komplett verschliessen können.

Wo sehen Sie  die grösste Stärke der neu geschaffenen RUAG MRO Holding AG?
An erster Stelle stehen sicher das Engagement und die Kompetenzen unserer Mitarbeitenden! Weiter sehe ich eine grosse Chance und eine Stärke in der neuen Fokussierung auf unseren Hauptauftrag. Gleichzeitig denke ich, dass wir als eigenständige, privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft daneben eben auch genügend Flexibilität haben, in dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, geschickt zu agieren. Und nicht zuletzt empfinde ich es als grosse Stärke, dass wir die Fähigkeit haben, Systeme über viele Jahre einsatzfähig zu halten und dabei gleichzeitig neue Fähigkeiten und neue Technologien in bestehende Plattformen zu integrieren und damit unseren Kunden zur Verfügung stellen zu können. Wir bauen zwar keine eigenen Systeme, haben aber diese Integrationsfähigkeit und können ein umfassendes Life-Cycle-Management bieten. Davon kann die Schweizer Armee profitieren.

Wo liegen die grössten Herausforderungen in den nächsten 12 Monaten?
Wir arbeiten im Moment an vielen Themen, die uns fit für die Zukunft machen werden. Wir arbeiten an unserer Attraktivität als Arbeitgeber, wir richten unsere Prozesse und Strukturen an der neuen Strategie aus, wir werden ab Ende dieses Jahres an die Einführung eines neuen SAP-Systems gehen. Das sind nur drei der Aufgaben, die vor uns liegen. Die grösste Herausforderung liegt meines Erachtens darin, die Balance zu halten: den Karren nicht zu überladen aber trotzdem erfolgreich in die Zukunft gehen zu können.

Welche Standorte sehen Sie für die RUAG MRO Holding AG als strategisch wichtig an?
Neben den grossen Standorten Emmen und Thun haben wir natürlich noch eine ganze Reihe weiterer, wichtiger Standorte. Die Standortfrage wird uns im Zusammenhang mit den künftigen grossen Beschaffungen der Schweizer Armee – neue Kampfflugzeuge (hoffentlich) und Bodluv – intensiv beschäftigen. Hier kommen wirtschaftliche, militärische und regionalpolitische Aspekte zusammen, die beachtet werden müssen. Zum heutigen Zeitpunkt ist eine abschliessende Antwort auf die Frage nach den strategisch wichtigen Standorten nicht möglich.

Wo sehen Sie die RUAG MRO Holding AG in fünf Jahren?
Wir werden nicht «nur» Instandhalter und Integrator sein, wir werden der führende Technologiepartner der Schweizer Armee sein, dran glaube ich fest und diese Position möchte ich in den nächsten fünf Jahren erreichen.

Wann bereitet Ihnen Ihr Job Bauchschmerzen?
Ich finde Situationen schwierig, in denen Entscheide getroffen werden müssen, die Schicksale von Menschen betreffen. Das ist die grösste Herausforderung, die eine Führungsaufgabe bereithalten kann und es bleibt einem nicht erspart, ab und zu solche Entscheidungen treffen zu müssen.

RUAG kennt das Modell der Arbeitnehmervertreter (ANV), welche ihre Anliegen direkt in die Geschäftsleitung einbringen können, wie sehen Sie den Status ANV?
Das Konzept der ANV bei der RUAG MRO Holding AG funktioniert ausgezeichnet, wird aktiv gelebt und ist gut. Wir stehen in engem und regelmässigem Austausch mit den ANV-Vertretern, die Kommunikation zwischen uns ist offen und partnerschaftlich und ich habe den Eindruck, dass sich unsere Mitarbeitenden von ihren ANV-Leuten gut vertreten fühlen. Ich nehme die ANV als sehr aktiv wahr und stelle regelmässig fest, dass grosse Diskussionsbereitschaft besteht, wenn es darum geht, Lösungen zu finden und Herausforderungen zu meistern.

Seit dem 25. Juni hat die RUAG einen neuen Auftritt, eine neue Marke und ein neues Design. Der Name ist aber immer noch der gleiche. Was unterscheidet denn die «neue» von der «alten» RUAG? Gibt es überhaupt einen Unterschied?
Wir haben in den letzten Monaten an unseren Werten, an unserer Ausrichtung und an unserer Aufstellung gearbeitet und das neue Erscheinungsbild ist eigentlich nur das i-Tüpfelchen, mit dem wir nicht nur gegen innen, sondern auch nach aussen zeigen, dass wir eine andere RUAG werden. Wir sind noch nicht angekommen, aber wir sind unterwegs. Und diese Reise ist eine grosse Chance; nicht nur für langfristigen geschäftlichen Erfolg, sondern auch dafür, das Image der «alten» RUAG abzulegen und zu zeigen, dass wir fit für die Zukunft sind. ■ (Bild: Andreas Berger, CEO der «neuen» RUAG MRO Holding AG.) (Bild RUAG)

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