Nein zu einer ungerechtfertigten Erhöhung der Prämien
Die Erhöhung des Kostendeckungsgrades der Militärversicherung (MV) hatte im Jahr 2018 einen massiven Prämienanstieg von 16,5% zur Folge. 2019 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) zu prüfen, ob sowohl auf die freiwillige Versicherung der pensionierten Berufsmilitärs als auch auf den Versicherungsschutz im Krankheitsfall der beruflich Versicherten verzichtet werden könnte. Dieses Vorhaben konnte dank swissPersona gestoppt werden, die damals davon ausging, dass man dem Dossier eine Verschnaufpause gönnen würde. Dem ist nicht so. Im Hinblick auf die Festlegung der Prämien für das nächste Jahr will man nun den Deckungsgrad von 80% auf 90% erhöhen, was eine Prämienerhöhung von 13,2% zur Folge haben würde. Einmal mehr geht es darum, Sparmassnahmen für den Bund auf dem Rücken der «besonderen Personalkategorie» zu generieren. Dies bei Personen, welche für die Sicherheit unseres Landes verantwortlich sind. Dazu sagen wir nein!
Etienne Bernard
Zentralsekretär swissPersona
Die letzte Änderung der Finanzierung der Prämien für die MV erfolgte am 1. Januar 2018. Sie war eine Sparmassnahme im Rahmen des Stabilisierungsprogramms 2017–2019, mit dem die Ausgaben des Bundes um 800 Millionen bis 1 Milliarde Franken gesenkt werden sollten. Dabei wurde von einer Berechnung, die sich auf einen Prozentsatz des Höchstbetrags des versicherten Jahresverdienstes stützt, zu einer Berechnung, die nach dem Verursacherprinzip basierend auf der Entwicklung der Krankheitskosten übergegangen. Mit dem neuen Finanzierungsmodell und der damit verbundenen Prämienerhöhung sollte zunächst der Deckungsgrad von mindestens 80% aufrechterhalten werden, wie es das Militärversicherungsgesetz (MVG) vorschreibt. Nach einer fünfjährigen Einführungsphase sollte der Bundesrat dann eine Erhöhung des Kostendeckungsgrades prüfen. Die beruflichen und freiwilligen Versicherten der MV wurden mit einer schmerzlichen Prämienerhöhung von 16,5% überrascht. Der Bundeshaushalt wurde dadurch im Jahr 2018 um geschätzte 2,5 Millionen Franken und im Jahr 2019 um 3,4 Millionen Franken entlastet.
Erhöhung des Deckungsgrades auf 90%
Ende Dezember 2022 ist die Einführungsphase abgelaufen, das Bundesbudget in den roten Zahlen erzwingt immer noch weitere Einsparungen. Das EDI hat daher das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beauftragt, eine Erhöhung des Deckungsgrades von 80 auf 90% zu prüfen. Dies würde einer Prämienerhöhung von 13,2% und monatlichen Kosten von rund 430 Franken entsprechen. Die MV hat auf dem Verursacherprinzip eine Erhöhung von 3,95% bei einer Prämie von 395 Franken und einem Deckungsgrad von 82,8% vorgeschlagen. Zwischen 2018 und 2022, mit Ausnahme im Jahr 2021, wurde der Deckungsgrad mit rund 83,9% immer über den verlangten 80% eingehalten. Vom BAG wurde sogar ein Deckungsgraderhöhung auf 100% als Möglichkeit erwogen, womit man die rote Linie endgültig überschreiten würde. Während der fünfjährigen Einführungsphase des neuen Systems der Prämienfinanzierung der MV wurde das vom Bundesrat gesetzte Ziel erreicht. Die Anpassung der Prämien folgt dem tatsächlichen Kostenanstieg und der Deckungsgrad liegt über dem geforderten Minimum. Pikanterweise fokussiert sich das BAG auf den starken Anstieg der Prämien für die privaten Krankenversicherungen für das Jahr 2024. Dabei vergisst es, seine eigenen Parolen zu berücksichtigen, denn der Bundespräsident hat die Versicherer darauf aufmerksam gemacht, «dass überzogene Kostenschätzungen und daraus resultierende ungerechtfertigte Prämienerhöhungen zu vermeiden sind».
Fragwürdige Argumente
Nach Prüfung der geltenden gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen kommt das BAG zum Schluss, dass einer Erhöhung des Kostendeckungsgrades der MV auf 90% nichts entgegenstehen würde – und sogar eine vollständige Kostendeckung möglich wäre. Eine Erhöhung des Kostendeckungsgrades auf 90% wäre auch aufgrund der angespannten Finanzlage des Bundes angebracht. Auch bei einem Kostendeckungsgrad von 90% würden Militärversicherte im Vergleich zu den übrigen Versicherten der Bevölkerung weiterhin von einem großzügigeren Leistungskatalog profitieren. Die Erhöhung ist für das BAG akzeptabel. Eine Erhöhung in der Krankenversicherung mit dem Argument zu rechtfertigen, dass sie legal sei und aufgrund des angeschlagenen Bundeshaushalts, ist für ersteres etwas zu kurz gegriffen und für letzteres unangebracht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es darum gehen könnte, die Bundesausgaben zu senken und letztendlich die beruflichen und freiwilligen Versicherten aus der MV auszuscheiden. Bei einem Deckungsgrad von 90% würde der Bund jährlich 2 Millionen Franken und bei einem Deckungsgrad von 100% 4 Millionen Franken zusätzlich einnehmen. Angesichts der 2,9 Milliarden Franken an Prämienverbilligungen, die das EDI im Jahr 2022 ausbezahlt hatte, sind dies Einsparungen am falschen Ort. Die Ziele, die 2017 im Bericht des Bundesrates über die Änderung der Verordnung über die Militärversicherung (MVV) festgelegt wurden, wurden erreicht oder sogar übertroffen – nach den damaligen Argumenten ist eine solche Erhöhung nicht gerechtfertigt.
SUVA bereits 2017 dagegen
In ihrer Stellungnahme von 2017 zum Entwurf der Revision der MV sprach sich die SUVA (die die MV im Auftrag des Bundes führt) gegen die Erhöhung des Deckungsgrades auf 80% aus, die darauf abzielte, die Einnahmen des Bundes durch höhere Prämien zu steigern. Hier ein Auszug aus ihrer Argumentation:
«Die Finanzierung der Leistungen ist bei Krankheit im KVG und MVG unterschiedlich. Das Verständnis in diese unterschiedliche Finanzierung ist notwendig, damit der Kostendeckungsgrad nachvollzogen werden kann. In der MV wird eine Vollkostenrechnung gemacht, das heisst folgende Kosten fallen unter anderem bei der MV an:
1. Volle Abgeltung der stationären Spitalaufenthalte: Kantone finanzieren nichts.
2. Höhere DRG-Tarife aufgrund einheitlicher Tarife als eidgenössische Sozialversicherung: Kantone finanzieren keine Zuschüsse wie im KVG .
3. Prämienverbilligung bezahlt das «Kollektiv» aller Versicherten selber: Bund und Kantone finanzieren nichts, im Gegensatz zur Prämienverbilligung nach KVG.
4. Keine Franchise oder Selbstbehalt: Erkrankte bezahlen keine zusätzlichen Beiträge.
5. Keine Einzahlungen / Rückzahlungen aus dem Risikoausgleich: Risikoausgleich wird innerhalb der Gruppe der Berufsmilitär und der pensionierten Berufsmilitär errechnet.
Verglichen mit der Krankenversicherung nach KVG ist der Deckungsgrad bei einer solchen Vollkostenrechnung mit der vollen Finanzierung über die Prämien der Versicherten lediglich bei zirka 68%. Wenn also bei der MV ein Kostendeckungsgrad von mindestens 80% verlangt wird, heisst dies, dass die Versicherten einiges mehr bezahlen müssen, als verglichen mit den Krankenversicherungsprämien nach dem KVG.
Wohl ist hier das Kollektiv mit mehrheitlich Männern günstiger als das Gesamtkollektiv nach KVG. Dies wiegt jedoch nicht die ganze Differenz des Kostendeckungsgrades von 68% zu 80% auf. Deshalb wird anhand der obigen Ausführungen klar, dass bei einem Kostendeckungsgrad von mehr als 68% die Versicherten Leistungen bezahlen, welche nach KVG der Staat erbringt. Hier spart sich der Staat diese Beiträge*, welche von den Versicherten mit Prämien bei der MV bezahlt werden.
Da die Versicherten jedoch Steuern bezahlen und damit die von der Krankenversicherung nicht gedeckten Kosten abdecken (wovon sie aber nicht profitieren), liegt hier eine Doppelbelastung vor. Nun hat der Gesetzgeber entschieden, bei der MV einen Kostendeckungsgrad von mindestens 80% zu verlangen. Eine weitere Erhöhung dieses Kostendeckungsgrades wäre jedoch unter verfassungsmässigen Gesichtspunkten (Willkürverbot, Doppelbesteuerungsverbot, Gleichheits- gebot etc.) zu prüfen. Wir gehen deshalb davon aus, dass eine Erhöhung des Kostendeckungsgrades in der MV dieser Prüfung nicht standhält. Solange der Kostendeckungsgrad nach KVG einiges unter demjenigen der MV liegt, erachten wir eine Erhöhung – auch nach einer 5-jährigen Einführungsphase als unangepasst.»
*Mit dem aktuellen System sparen die Kantone zwischen 8 und 9 Millionen Franken pro Jahr.
Was hat swissPersona unternommen?
Zwischen Juni und September haben wir eine Aussprache beim BAG beantragt. Die Direktorin lehnte dies mit der Begründung ab, dass die Höhe des Kostendeckungsgrades der MV nicht im Rahmen von Gesprächen zwischen dem BAG, der SUVA (MV) und den Sozialpartnern verhandelt werden könne. Wir wandten uns daraufhin an das Generalsekretariat des VBS und später an Bundesrätin Viola Amherd. Dort trafen wir auf offene Ohren und Verständnis für unsere Argumente. Ob die Bundesrätin im Bundesrat eine Mehrheit gewinnen kann, ist jedoch ungewiss. Am 12. Oktober 2023 wurde der Bundeskanzlei eine Petition mit 2’055 Unterschriften übergeben, die innerhalb von 11 Tagen gesammelt wurden und das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem VdI, der Sektion militärische Berufskader und der Vereinigung der territorialen Militärpolizei war. Da das BAG die Regeln der Sozialpartnerschaft nicht beachtete, verfassten wir ein Schreiben an den Bundespräsidenten und Vorsteher des EDI. Am 26. Oktober 2023 konnten wir ein Gespräch mit dem persönlichen Mitarbeiter von Bundesrat Alain Berset führen, bei dem (endlich) auch der Abteilungsleiter Versicherungsaufsicht und die Sektionsleiterin Militärversicherung anwesend waren. An der Argumentationsfront haben sich die Linien kaum bewegt, auch wenn man optimistisch bleiben darf.
Zusammenfassung
Mit 80% ist der Deckungsgrad bereits zu hoch, da die Versicherten der MV die stationären Spitalkosten mit ihren Steuern bezahlen. Dieser Satz müsste analog den privaten Krankenkassen bei 67% angepasst werden.
Mit ihren Prämien finanzieren die Versicherten der MV die Prämienverbilligungen, die Krankheitskosten, die stationären Spitalkosten. Es gibt keine Franchise oder Selbstbeteiligung, da diese bei der Berechnung der Vollkosten berücksichtigt werden.
Es ist nicht zulässig, die Prämien für nicht freiwillig Versicherte übermässig zu erhöhen, die ihre Krankenkasse oder ihr Versicherungsmodell nicht wählen können.
Die beruflich Versicherten stellen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ein kleines Risiko dar.
Eine attraktive Prämie für freiwillig Versicherte (Rentner) schont auch die Interessen der MV, um Streitigkeiten mit den privaten Versicherern zu vermeiden.
Der Artikel 59 der Bundesverfassung garantiert Dienstleistenden einen besonderen Schutz:
«Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes».
Berufsmilitär erfüllen Sicherheitsaufgaben für die Allgemeinheit und sind ständig denselben Risiken ausgesetzt wie die Miliz. Sie setzen jeden Tag ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel, um Sicherheitsaufgaben für den Bund zu erfüllen.
Eine Erhöhung des Deckungsgrades der MV darf nicht zur Sanierung der Bundeskasse missbraucht werden. Die MV ist nicht darauf ausgerichtet, Renditen zu erwirtschaften wie es von gewinnorientierten Privatversicherungen verlangt wird.
Schlussfolgerung
swissPersona hat dem EDI und Bundesrätin Viola Amherd folgenden Vorschlag als Kompromiss unterbreitet: Der minimale Deckungsgrad soll weiterhin bei 80% belassen und die Prämien fürs Jahr 2024 im Maximum zwischen 5 und 6% erhöht werden. Sollten sich die 90% dennoch durchsetzen und gar ein Deckungsgrad von 100% angestrebt werden, so wäre die MV künftig nicht mehr so attraktiv und man müsste sich die Frage stellen, ob die Versicherungspflicht weiterhin aufrechterhalten werden kann? Die Kräfte, die sich für die Abschaffung der MV für das Militärische Personal eingesetzt haben, würden sich wahrscheinlich darüber freuen. Aber sicher ist, dass es bei einem solchen Schritt nur Verlierer geben würde. ■ (Bild: Einreichung der Petition bei der Bundeskanzlei, von links: Roland Tribolet (Geschäftsleitungsmitglied swissPersona), Laurent Egger (Präsident VdI), Dr. Peter Candidus Stocker (Präsident der Sektion militärische Berufkader des ACC). (Bild: swissPersona-VdI)