«Der heutigen Generation ist der Sinn der Arbeit wichtig»
Am 1. Oktober 2022 übernahm Divisionär Rolf Siegenthaler von Divisionär Thomas Kaiser das Amt als Chef der Logistikbasis der Armee (LBA). In einem Interview mit swissPersona Zentralvorstandsmitglied Urs Stettler gibt er Auskunft zu einer Vielzahl von Themen.
Interview Urs Stettler
Zentralvorstand swissPersona
Urs Stettler: Nennen Sie mir drei Gründe, warum ich mich für eine Arbeitsstelle bei der LBA bewerben sollte?
Rolf Siegenthaler: Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Organisation: Soziale und berufliche Mobilität ist in einer so grossen Organisation sehr gut möglich. Sinnvolle Arbeit zugunsten der Gesellschaft: Die Logistikbasis der Armee ist eine krisenerprobte Organisation, die im Notfall hilft. Arbeitsplatzsicherheit: Wir haben stabile und über die ganze Schweiz verteilte Arbeitsplätze.
Was waren beim Amtsantritt ihre grössten Herausforderungen und welche werden diese in den nächsten Jahren für Sie sein?
Die Logistikbasis ist eine gut funktionierende Organisation. Sie wurde auf Effizienz getrimmt und erbringt ihre Leistungen im Alltag zuverlässig. Allerdings ist sie – wie die Armee als Ganzes auch – auf die wahrscheinlichen Einsätze ausgerichtet, wie Schutz von kritischer Infrastruktur oder Katastrophenhilfe. Mit dem Krieg in der Ukraine muss sich die gesamte Armee auf die Verteidigung ausrichten, was für die LBA den Aufbau einer Kriegslogistik bedingt. Dieser Aufbau wird noch Jahre dauern und uns stark fordern.
Man spricht überall vom Fachkräftemangel. Sind Sie in der LBA auch von diesem Problem betroffen? Wenn ja, in welchen Bereichen besonders?
Der Fachkräftemangel trifft jede Arbeitgeberin. Es sind die gleichen Berufsgruppen wie in der zivilen Welt bei denen wir Mühe haben, weil der Markt generell ausgetrocknet ist. Besonders betrifft es Fachkräfte aus den Werkstätten, Informatiker, medizinisches und pharmazeutisches Personal und auch Ingenieure.
Was gedenken Sie dagegen zu tun?
Der heutigen Generation ist der Sinn der Arbeit wichtig. Das hilft uns, denn der Gemeinnutzen steht bei der Armee im Zentrum. Die LBA dient der Truppe und die Truppe schützt das Land und die Bevölkerung. Was gibt es Sinnvolleres?
Daneben begreifen wir die Diversität als Chance. Teilzeitarbeit, Gleichberechtigung, Eigenverantwortung, Abbau von administrativen Ärgernissen, Weiterbildungsangebote sollen die Mitarbeitenden auch ganz praktisch dabei unterstützen, Leben und Arbeit besser in Einklang zu bringen.
Drittens erlebt man bei der Armee Dinge, die anderswo gar nicht möglich sind. Wer sonst kann an einem Panzer arbeiten? Wer darf in solchen Mengen Munition bewirtschaften, unterirdische Anlagen betreiben, die Truppe ausrüsten? Die Welt der Armee ist faszinierend und auch etwas geheimnisvoll.
In den letzten Jahren wurde die Logistik von einst vielen kleineren Logistikzentren (Zeughäusern) und Armeefahrzeugparks (AMP) in hauptsächlich fünf moderne Logistikzentren umgebaut. Der Krieg in der Ukraine beweist uns aber heute, dass eine Zentralisierung der Mittel etliche Gefahren mit sich bringt und eine Dezentralisierung strategisch grosse Vorteile aufweist. Welche Konsequenzen werden Sie aus dem von niemand erwarteten Krieg in Europa ziehen?
Die Armee ist seit 2016 daran, ihre Zukunft zu planen. Zu diesem Zweck bestehen bereits drei Grundlagenpapiere, die diese Entwicklung erklären und die auf dem Internet öffentlich zugänglich sind. Es sind dies die Studien «Luftverteidigung der Zukunft», «Zukunft der Bodentruppen» und die «Gesamtkonzeption Cyber». Bei diesen Arbeiten wurde bereits eine deutlich verschärfte Bedrohungslage und damit die Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit antizipiert. Diese Konzeption wurde nach Ausbruch des Ukrainekriegs überprüft. Wir können festhalten, dass die Grundsätze weiterhin gültig sind, aber eine raschere Umsetzung der Massnahmen notwendig ist. In der Folge werden mittels strategischer Studien die Vorgehenspläne ausgearbeitet. Eine dieser strategischen Studien betrifft die Logistik.
Die Kosteneffizienz muss im Alltag weiterhin im Vordergrund stehen. Sollte die Schweiz aber angegriffen werden, tritt die Kosteneffizienz gegenüber der Leistungsfähigkeit in den Hintergrund. Der Schutz vor Waffenwirkung zwingt zur Dezentralisierung und zur Nutzung von unterirdischen Anlagen.
Der Zusammenbruch der internationalen Lieferketten zeigt auf, wie wichtig eine genügende Bevorratung ist. Munition, Medikamente, Ersatzteile, Betriebsstoffe, Elektrizität fast überall tritt schnell Mangel ein, wenn Krieg ausbricht. Kurzfristige Beschaffungen sind dann unmöglich.
Was halten Sie zum Thema Sexismus und Diskriminierung in der Armee?
Leider ist auch die Armee nicht vor üblen Beispielen verschont, wie alle Bereiche der Gesellschaft. Der Armeeführung ist es wichtig, dass Fehlverhalten geahndet wird und dass überall klar ist, dass die Armee Sexismus wie auch jede andere Art von Diskriminierung nicht toleriert.
Gewisse parlamentarische Kreise sind der Meinung, dass der Verwaltungsapparat zu gross sei. Was halten Sie davon?
Die DU des Chefs LBA haben jedes Jahr die Vorgabe 1% Personal abzubauen. Dies, um den Druck aufrecht zu erhalten und um neue Bedürfnisse nach Stellen intern abdecken zu können.
Wo sehen Sie aktuell den grössten Handlungsbedarf in der LBA?
Die Agilität ist zu fördern, administrative Hürden sind abzubauen, Innovation und Digitalisierung sind zu erzwingen. Dies soll auch dazu beitragen, eine attraktive Arbeitgeberin zu bleiben, die motivierte und fähige Mitarbeitende aufbauen und halten kann.
Ein Wiedereinstieg nach einer Elternzeit oder einer längeren Auszeit (Reise, Krankheit, Pflege) in die Berufswelt gestaltet sich schwierig. Wie ermöglichen Sie eine Vereinfachung eines Wiedereinstiegs?
Je nach Beruf stehen der LBA ganz verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, auf die individuelle Situation einzugehen. Die Bereitschaft ist dazu heute aufgrund der Bedeutung des einzelnen Mitarbeitenden, beziehungsweise der Mitarbeiterin gegeben. So lassen sich neben Teilzeitarbeit, Homeoffice oder Job-Sharing auch Weiterbildungen und Coaching realisieren.
Ein attraktiver Arbeitgeber verzeichnet wenig Fluktuation – habe Sie eine Idee, was die LBA als Arbeitgeber «noch» attraktiver machen könnte (zum Beispiel eine Stunde Sport pro Woche auf Arbeitszeit)?
Die Fluktuation ist – abgesehen von der absehbaren Pensionierung der Babyboomer – kein Problem der LBA. Eigentlich ist die Fluktuation fast zu tief, was den positiven Effekt hat, dass sich Investitionen in die Mitarbeitenden langfristig lohnen. Erfahrung ist bedeutsam für uns. Trotzdem sollen Möglichkeiten zur Steigerung der Attraktivität nicht ausgelassen werden. Sport wird in der Armee ohnehin gefördert. Je nach Standort können die Fitnessangebote auch von zivilen Mitarbeitenden genutzt werden. Wir bieten seit einiger Zeit frisches Obst an und Mineralwasser. Am Schluss sind aber Arbeitsklima und Arbeitsumfeld wie beispielsweise zeitgemässes Werkzeug, Informatikunterstützung, Homeoffice und dergleichen wichtiger für die Arbeitszufriedenheit.
Mobbing ist ein weitverbreiteter Grund, die Stelle zu kündigen, unmotiviert zur Arbeit zu kommen, Fehler zu machen, psychisch krank zu werden. Wie gedenke Sie mit diesem Problem/Phänomen umzugehen, respektive dies zu verhindern?
Das Allerwichtigste ist gute Führung. Das ist natürlich banal, aber richtig. Die Chefs müssen sich um ihre Leute kümmern. Es müssen klare Ziele gesetzt, aber auch Freiheiten gelassen werden. Ein Klima der konstruktiven Zusammenarbeit setzt eine Fehlerkultur voraus. Die Mitarbeitenden sollen ihre Ideen einbringen können. Innovation ist ein Schlüsselbereich.
Daneben braucht es auch die Verhinderung von Missbrauch. Falsches Verhalten muss besprochen und bei Wiederholung gemäss den gesetzlichen Grundlagen geahndet werden.
Sollten die Verhältnisse schlecht sein, die Kommunikation unmöglich, so stehen auch da wieder die Massnahmen aus Bundespersonalgesetz und Verordnungen zur Verfügung. Man kann sich aber auch an den höchsten Vorgesetzten auf Platz richten und in letzter Konsequenz kann man auch mich kontaktieren. Ich werde garantiert jeden und jede ernst nehmen und ihn oder sie anhören.
Aktuell erfolgt ja die Umstellung von «SAP R3» auf «S4/HANA». Dies betrifft in erster Linie die Basislogistik, sprich die Verwaltung im weitesten Sinn. Ist im Rahmen der Digitalisierung vorgesehen, zukünftig auch die Truppe mit entsprechenden Tools anzubinden und die Zusammenarbeit (insbesondere in den Bereichen Nachschub und Instandhaltung) mit der Basislogistik zu optimieren?
Aktuell erarbeitet das Projekt Digitalisierung Milizarmee DIMILAR die Grundvoraussetzungen zur Digitalisierung der Miliz. Darauf aufbauend kann die Logistik, unter anderem auch nach der Umstellung von «SAP R3» auf «S4/HANA», ebenfalls die elektronische Zusammenarbeit mit der Truppe ermöglichen. Im Rahmen einer Marktabklärung unter dem Titel ARONIA wird derzeit geprüft, inwieweit ein zusätzliches System SAP truppenseitig ergänzen soll, damit insbesondere im Verteidigungsfall die Truppe die Einsatzlogistik unter sich verschlechternden Bedingungen einfach und sicher bewältigen kann.
Sind aufgrund erster Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg bereits Konsequenzen für die Logistik der Schweizer Armee absehbar? Ist die Logistik im Konfliktfall überhaupt ein Thema, beispielsweise für den Nachrichtendienst?
Der Ukrainekrieg beschäftigt uns täglich. Für mich war hierbei rasch klar, dass die Logistik im Militärischen Nachrichtendienst ungenügend Beachtung findet. Wir haben nun seit Anfang dieses Jahres mit Mitteln der LBA im und mit dem Militärischen Nachrichten Dienst dafür gesorgt, dass wir zu unseren Nachrichten kommen.
Divisionär Rolf Siegenthaler, herzlichen Dank für das Interview. ■ (Bild: Divisionär Rolf Siegenthaler, Chef der Logistikbasis der Armee) (Bild: Sina Guntern, VBS)